Predigt von Pfr. Manuel Janz im Gottesdienst am Reformationstag, 31.10.2017 in der Stephanuskirche Deilinghofen

In diesem Jahr konnte man Martin Luther quasi auf Schritt und Tritt begegnen. So ziemlich jede Seite seines Lebens und Wirkens wurde da beleuchtet: der große Reformator der Kirche, der Bibelübersetzer, der Widerständler gegen Rom, der Kämpfer für Freiheit, der Judenfeind, der Liederdichter… Fehlt noch etwas? Ist eine Facette seines Wirkens noch nicht vorgekommen? Ich habe vermisst, dass über Luther als Beter gesprochen wurde! Dabei ist das Gebet ein ganz zentrales Thema seines Lebens gewesen.

Bei der Beerdigung Luthers im Jahr 1546 sagte sein engster Mitarbeiter und Freund, Philipp Melanchthon, über Luther: „Er lehrte und lebte das rechte Gebet“. Das machte ihn aus! Was wäre aus der Reformation geworden, wenn Luther nicht gebetet hätte? Was für eine Frage! Luther und seine Kraft zur Erneuerung der Kirche sind überhaupt nicht denkbar ohne das Gebet. Und zwar das tägliche, anhaltende Gebet.

Beten ist nach Luther wie der Pulsschlag eines Menschen

  • „Man kann keinen Christen finden ohne Beten – so wenig wie man einen lebendigen Menschen ohne den Puls finden kann, den Puls, der nimmer still stehet, der reget und schläget immerdar…“
    Beten ist der Pulsschlag des Glaubens. Ohne ihn sind wir tot.
  • „Gott braucht mein Gebet nicht, aber mein Leben braucht das Gebet“
    Gebet ist Audienz beim König, ist ganz persönliche Begegnung mit Jesus, und nur aus diesem persönlichen Umgang mit Jesus im Gebet erwächst Vertrauen, wächst der Glaube
  • „Wenn ich auch nur einen einzigen Tag das Gebet vernachlässige, verliere ich viel vom Feuer des Glaubens.“
  • „Eines Schusters Handwerk ist Schuhe machen, eines Christen Handwerk ist beten!

Aber wenn Beten wie ein Handwerk ist, dann kann man das nicht auf einen Schlag. Denn Beten heißt ja mehr als ein paar Wünsche abliefern.
Wie lernt man dann das „Handwerk“ beten?
Gehen Sie mit mir bei Luther in die Lehre?! Lernen wir von Luther als Beter!
Luther schöpfte in seinem reformatorischen Wirken v.a. aus 2 Quellen – dem Wort Gottes und dem Gebet – und beide gehören für ihn ganz eng zusammen, ja sie bedingen sich gegenseitig:

1. Beten nährt sich aus dem Wort Gottes

– Durchs Beten öffnete sich für Luther das Wort Gottes, durchs Beten lernte er die Bibel verstehen. Das Lesen der Bibel war für ihn Gespräch mit Gott, war zugleich Gebet! Und:
– Durch das Wort Gottes wurde Luther wiederum zum Beten ermutigt und eingestimmt – „vorgewärmt“, wie er sagte.

Wie können wir vorgewärmt werden für das Gebet?
Als Martin Luther mal wieder bei seinem Frisör Peter Beskendorf war, kamen sie auf das Thema Gebet. Meister Peter erzählte ihm von seinen Schwierig­keiten beim Beten. Oft hätte er einfach keine Lust dazu oder er wüsste auch nicht, wie er anfangen soll.
Luther hat dann von seinen eigenen Schwierigkeiten erzählt, aber er ist auch richtig ins Schwärmen gekommen über das Gebet. Er hat seinem Frisör einen langen Brief geschrieben. Der ist später sogar als kleines Büchlein gedruckt worden, voll guter Anregungen und Ermutigungen. Hier einige Kostproben:
„Wenn ich fühle, dass ich durch meine Alltags-Geschäfte oder durch fremde Gedanken kalt und ohne Lust zu beten geworden bin, wie denn der Teufel stets das Gebet abwehren und hindern will, nehme ich meine Bibel, laufe in der Kammer, und, je nachdem wie ich Zeit habe, lese ich etliche Sprüche Christi, des Paulus oder der Psalmen und spreche sie laut vor mich hin, ganz und gar wie die Kinder tun.“
Luthers eigene Erfahrung: laut gesprochene Jesusworte können die Unlust zum Beten vertreiben.

Drei Dinge sind zum rechten Beten nötig:

1. Gottes Gebot – Beten, weil Gott es uns selbst geboten hat.
Die Bibel ist voll von Aufforderungen, Gott anzurufen. Und Martin Luther weist auf ein tiefes Geheimnis dieser Aufforderungen hin: Wenn wir nur beten würden, weil wir gerade ein bestimmtes Anliegen loswerden wollen, oder weil wir gerade aufs Beten „gepolt“ sind, wüssten wir ja gar nicht, ob wir auch bei Gott gerade auf offene Ohren stoßen. Aber weil Gott selber es uns geboten hat, haben wir sozusagen die Eintrittskarte in den Raum des Gebets in der Hand! Es kommt überhaupt nicht drauf an, wie wir uns gerade fühlen, ob wir gut drauf sind oder nicht. Nein, wir dürfen beten, weil Gott uns selber dazu beauftragt hat. Das verleiht unserem Gebet eine ungeheure Würde!

2. Gottes Verheißung – Beten, weil es Verheißung hat.
Gott verspricht, Gebet zu erhören! Er verspricht: „Rufe mich an in der Not, so will ich dich erretten.“ oder: „Bittet, so wird euch gegeben.“
Luther schreibt: „Es ist eine große Schande für uns Christen, dass wir oft zu faul sind zum Beten und solche Schätze der Verheißung links liegen lassen. – Gott selber gründet unser Gebet auf seine Verheißung und lockt uns damit zum Beten. Denn wenn die Verheißung nicht wäre, wer dürfte da beten? – Willst du aber recht beten, so nimm dir eine Verheißung vor und fasse Gott bei derselben, so wird dir bald Lust und Mut zuwachsen zum Beten. – Denn wer ohne Verheißung betet, der legt sich selbst zurecht, wie Gott sein soll. Wer aber so betet, hat nur eitlen Wahn, und da ist auch kein Erhören, sondern Arbeit und Gebet sind verloren.“
Luther: „Man muss Gott die Verheißungen um die Ohren reiben“
– nicht meine Wünsche, sondern seine Verheißungen und Versprechen!
Das heißt: verheißungsorientiert beten. Schauen wir also beim Gebet unverwandt auf seine Versprechungen! Wie es Psalm 27 (Vers 8) ausdrückt: „Mein Herz hält dir vor dein Wort“ Und schließlich: Gebet zeigt, dass ich ganz auf Gott angewiesen bin. Darum – zum Beten nötig ist:

3. Der Glaube – zu glauben, dass die Verheißung wahr sei

  • „Der Glaube hängt sich an das Wort und die Verheißung Gottes“
    Beten stärkt das Vertrauen. Und das ist nichts anderes als Glauben. Für Gott ist nichts zu groß und nichts zu klein, ihm kann ich alles zutrauen, ihm kann ich alles anvertrauen! So können wir zuversichtlich beten.

Gebot und Verheißung sind für alle, die beten, die offene Tür zu Gott:

  • Solches kannst du ihm aufrücken und sprechen: Hier komme ich, lieber Vater, und bitte nicht, weil ich es so will oder weil ich so würdig bin, sondern weil du es willst und weil du eine Verheißung gegeben hast – und die kann nicht fehlen noch lügen.“

Deshalb konnte Luther – ähnlich wie Abraham und Mose – Gott äußerst mutig und kühn um Erhörung bedrängen – und zwar dann, wenn er gewiss war, dass seine Bitten mit Gottes Zielen in Einklang standen. In einer sehr schwierigen, herausfordernden Phase der Reformation wurde Luther wichtigster Mitarbeiter und Freund, Philipp Melanchthon, plötzlich sterbenskrank. Wenn Melanchthon gestoben wäre, wäre das für Luther eine persönliche und eine kirchliche Katastrophe gewesen. Für Luther war dieser Mann schier unentbehrlich. Wie ging Luther mit dieser Krise um? Man sagte, Luther riss Melanchthon gleichsam mit seinem Gebet aus den Armen des Todes. Er schreibt selbst darüber:
„Alsda musste mir unser Herrgott herhalten. Denn ich warf ihm den Sack vor die Füße und rieb ihm die Ohren mit allen Verheißungen, die ich in der Schrift aufzuzählen wusste… dass er mich müsste erhören, wo er doch wollte, dass ich seiner Verheißung trauen sollte.“ → rieb ihm die Ohren mit allen Verheißungen!!

Beten und wachsen
Gottes Verheißungen und erfahrene Gebetserhörungen lassen uns wachsen im Glauben, reifen – so dass auch unsere Gebete reifer und tiefer werden. Gottes Ziel mit uns ist, dass wir wachsen.

→ „Wer nicht fortschreitet auf dem Wege Gottes, der schreitet zurück. Das ganze Leben des Gottesvolkes ist niemals ein Stillestehen, niemals ein Ergriffen-haben, sondern ein gläubiges Erwarten.“
Echtes Beten ist ein kindlich-dringliches Erwarten, ein erwartungsvoller Blick auf den himmlischen Vater. Luther sagte über seine Gebetserfahrungen:
→ „So oft ich mit Ernst gebetet habe, … so bin ich ja reichlich erhört worden – und habe gar mehr erlangt, als ich gebetet hatte! Wohl hat Gott bisweilen verzögert, aber er ist immer gekommen.“

2. Beten heißt reden und (!) hören

Haben Sie schon mal darüber nachgedacht: Luther hat so unwahrscheinlich großartige und tiefe Erkenntnisse gehabt – wie ist er auf all das gekommen? Er sagt:
→ „Ich habe oft in einem einzigen Gebet mehr gelernt, als aus viel Lesen und Nachdenken!“
Große theologische Erkenntnisse und tiefe Glaubenswahrheiten sind ihm vor allem beim Beten gekommen!! Das ist sein Geheimnis!!
Beim Beten?? Ja, wie denn??
Luther hat sich beim Beten oft buchstäblich entlang gehangelt an den Zehn Geboten und am Vaterunser. Eine Vaterunser-Bitte nach der anderen hat er bewegt und durchgebetet. Oftmals blieb er an einer Bitte hängen und kam in tiefe Gedanken. „Da soll man die anderen Bitten getrost fahrenlassen und mit Stille hören, denn da predigt der Heilige Geist selber. Und von seiner Predigt ein Wort ist weit besser als tausend unserer Gebetworte.“
So hat Luther beim Beten gelernt, auf Gott zu hören.
Beten ist für Luther Hören !!
Ich will beim Beten Gott meine Wünsche beibringen. Sie auch?
Beten heißt dann: Gott meinen Willen verklickern, damit er seine Meinung ändert.
Für Luther ist es genau umgekehrt:
→ „Im Gebet versuche ich, Gottes Willen zu erfahren – und mein Leben daraufhin zu ändern“ Beten, damit Gott mir seinen Willen beibringen kann! ….
So wächst und vertieft sich der Glaube. – Durch hörendes Beten!
Und das half Luther, damit fertig zu werden, wenn Gott seine Gebete nicht – oder nicht sofort – erhört hat. Er sagte einmal: „Wenn Gott uns nicht gibt, was wir bitten, wird er uns geben, was besser ist.“ Diese Haltung konnte er nur lernen, weil Beten für ihn zugleich Hören auf Gott war.

Beten und Kampf

All das hat Luther nicht im Handumdrehen gelernt. Beten lernen war für Luther immer wieder ein sich Durch-Kämpfen.
Immer wieder spürte er, wie der Gegenspieler Gottes, der Teufel, ihn am Beten hindern wollte. Denn wo ein Mensch anfängt zu beten, da wird es für den Teufel ungemütlich! Wenn sich ein Mensch intensiv in der Gemeinde abrackert, ist das für ihn nicht so „gefährlich“, als wenn der intensiv betet. Deshalb wird unsere Gebets-Frequenz immer wieder von Störserndern gestört. Kennen Sie das? Oft ist es so, wenn ich beten will, fallen mir plötzlich Dinge ein, die „wichtiger“ sind, als zu beten. Und dann lasse ich’s. Auch Martin Luther kannte das! Auch für Luther war Beten immer wieder auch ein Kampf. Das fing schon an, wenn es darum ging, überhaupt mit dem Beten anzufangen.
Abends war er müde und fühlte sich leer. Morgens drückte ihn der Terminplan, die viele Arbeit. Wenn so viel zu tun ist, fehlt einfach die Zeit zum Beten, oder? Dieser Gedanke war Luther nicht fremd, aber er ließ ihn absolut nicht gelten. Er sagte:
→ „Ich habe so viel Arbeit, dass ich nicht auskomme – ohne täglich mindestens drei Stunden meiner besten Zeit dem Gebet zu widmen.“ (hoppla!! – wie würden wir sagen??)
→ Luther sagt: „Heute habe ich viel zu tun, darum muss ich viel beten.“
Er schrieb an seinen Frisör: „Darum ist’s gut, dass man das Gebet morgens früh das erste und abends das letzte Werk sein lasse. Nichts ist gefährlicher als der Gedanke: „Beten, ach, das kann ich später auch noch. – Flugs umfangen einen die Geschäfte so, dass aus dem Gebet den ganzen Tag über nichts mehr wird“

3. Beten heißt Gottes Mitarbeiter werden

Zum Schluss eine bahnbrechende Erkenntnis Luthers: Gott will, dass wir beten, damit wir Teilhaber sind an seinem Handeln in der Welt. Beten heißt Verantwortung übernehmen, Mitwirken an Gottes Weltregierung!
Moment mal, ist das nicht zu hoch gegriffen? Ist das nicht eine ziemliche Selbstüberschätzung?
Luther erklärt das mit folgenden Beispielen:
→ „Gott will auf den Feldern Frucht wachsen lassen. Aber dazu gebraucht er den Bauern, der auf dem Feld sät und erntet.Der Bauer wird damit zum Handlanger Gottes! Oder: Gott will einem Kind das Leben schenken; aber Vater und Mutter müssen dabei mithelfen. So wirken wir Christen an der Weltregierung Gottes mit, wenn wir beten. Unser Gebet ist das Werkzeug, das Gott zur Ausführung seiner Pläne braucht!“
Was für ein Auftrag!
Luther wusste, was für eine Macht das Gebet ist. Das hatte er in all den Herausforderungen und Krisen seines Wirkens erfahren.
Er sagt:
→ „Was meinst du, dass ich bisher so große Dinge ausgerichtet habe, den Aufruhr unserer Feinde abgewehret… wenn nicht das Gebet etlicher Frommer wie eine Mauer auf unserer Seite dazwischen gekommen wäre? Denn wenn irgend ein frommer Christ betet „Lieber Vater, lass doch deinen Willen geschehen?“, so spricht er droben: „Ja, liebes Kind, es soll ja sein und geschehen, dem Teufel und aller Welt zum Trotz“. Wir Beter sind wohl arme Bettler, aber machen doch viele reich. – Das sollen wir wissen, dass all unser Schutz und Schirm allein im Gebet besteht.“
→ „Christen, die beten, sind wie Säulen, die das Dach der Welt tragen.“

Zum Schluss eine ganz aktuelle Erfahrung:
Sie haben es sicher in den Medien mitverfolgt:
Mehr als hundert Tage lang war der Berliner Menschenrechtler Peter Steudtner in der Türkei inhaftiert. Nun hat ihn ein Gericht in Istanbul überraschend (als ersten) aus der U-Haft entlassen.
Was ist da wohl hinter den Kulissen gelaufen?
Viele hatten gegen diese grundlose Verhaftung protestiert. Aber eines war kaum bekannt: Steudtner war seit vielen Jahren Mitarbeiter der Berliner Gethsemane-Kirchengemeinde. Und dort haben sich nach der Verhaftung viele Christen gefragt: Was können wir für ihn tun in diesem weltpolitischen Machtgezerre? Sie haben sich entschlossen, jeden Tag um 18 Uhr in der Kirche zusammen zu kommen, um für Steudtner und seine inhaftierten Kollegen zu beten. Ihr Motto: Wachet und betet.
30 bis 50 Besucher kamen da zusammen, Alte, Junge mit ihren Babys, Manager, Ex-DDR-Oppositionelle. Und: Peter Steudtner wusste über seine Anwälte, dass sie sich da Abend für Abend trafen. Die Anwälte konnten immer nur kurze Nachrichten hin und her übermitteln. Aber eins war Steudtner besonders wichtig: „Freue mich über ‚Wachet und betet‘. Grüße an die Gemeinde. Bin jeden Abend mit dabei“, hat er geschrieben.

Nun ist er frei, nach 100 Tagen! – Gebet ist eine Macht !!
Das gilt auch bei uns in Deilinghofen!
Was ist für uns heute dran, für Sie und mich?
Nehmen Sie das bitte mit! Das hat Luther schon getragen:
„Betende Christen sind wohl arme Bettler, aber sie machen doch viele reich“ – wenn sie beten!

Amen.